Zum Sechseläuten sind fast alle Zürcher auf den Beinen. Wer nicht mitmacht, sei es als Teilnehmer am großen Umzug, oder als Zuschauer am Straßenrand, bleibt besser überhaupt weg. Das Sechseläuten-Programm – oder auf Zürichdeutsch Sächsilüüte – wird im Wesentlichen durch die 24 Zürcher Zünfte bestritten, die zum Teil auf Gründungsjahre wie 1336 zurückblicken können.

Traditionsreiches Programm

Ich war von einer etwas jüngeren Zunft als Gast geladen und so durfte ich an allen Zeremonien, Ansprachen und Ehrungen, Essen und Trinken teilhaben. Das diesjährige Zunfthaus der Zunft Wollishofen, meine Gastgeber, war die St. Peterskirche in der Altstadt, ein beeindruckendes Gebäude mit der größten Turmuhr der Schweiz und behutsam barockisiertem Interieur. Die Sonntag-Feierlichkeiten begannen mit einem reformierten Gottesdienst, gefolgt von einem festlichen Mittagessen. Dann besuchten wir die diesjährige Gastzunft aus Basel, die sich am Lindenhof mit kulinarischen und musikalischen Spezialitäten präsentierte. Anschließend ging es an die Bahnhofstraße zum Kinderumzug. Mit welcher Hingabe und Begeisterung die kleinen Leute an uns vorüberzogen, war einfach reizend.

Danach zogen wir von Ort zu Ort, von Glas zu Glas. Überall wurden wir bewirtet, herzlich willkommen geheißen und nochmals zu einem Cüpli eingeladen. Am Montag wurde es dann richtig ernst. Zum Auftakt und zur Begrüßung gab es am Kirchenplatz ein Glas vom guten Schweizer Weißwein. In der Kirche selbst waren Tafeln festlich gedeckt, diverse Weine aufgetischt und Ansprachen gehalten, Ehrungen verkündet und manche spitze Pfeile abgeschossen. Die Schlagfertigkeit des Zunftmeisters und anderer honoriger Herren und auch einer Dame aus den Reihen der Ehrengäste, kann sich mit manchen Profis aus der Kabarettszene messen.

Ja die Schweizer nehmen ihre Traditionen sehr ernst – auch das gute Essen und Trinken.

Insgesamt dauerte dieser Abschnitt der Festlichkeiten bis 15 Uhr. Dann durften wir aufbrechen und wurden gut organisiert zur Bahnhofstraße geleitet, um uns als vierzehnte von 24 Zunftstaffeln mit Schweizer Präzision einzuschleusen. Viele der Zünfte haben auch eine Reiterstaffel. Nachdem schon einige Rösser vor uns die Bahnhofstraße entlang und überhaupt den ganzen Weg bis zum Sechseläutenplatz getrottet waren, wurde die straffe Formation von 4 Herren nebeneinander nicht immer eingehalten.

Es ist auch Tradition, dass die Damen am Straßenrand den Herren in der Parade Blumen überreichen, sie umarmen und küssen. Das hat was. Ich kriegte auch eine Brezel umgehängt. So geschmückt und bestückt erreichten wir den Sechseläutenplatz, wo es auch wieder Gelegenheit gab, die ausgetrocknete Kehle zu sanieren.

Am Ziel angekommen

Nun waren wir am Ziel. Vor uns stand der riesige Böögg (ein großer Schneemann, der den Winter symbolisiert). Um Punktsechs wurde er angezündet. Eine Reiterstaffel nach der anderen umkreiste den Böögg in flottem Galopp und schon gab es die ersten Knaller. Alsbald stießen die Flammen hoch und die ersten dunklen Rauchschwaden entwichen aus des „Schneemanns“ Kopf. Der Winter ist dann endgültig ausgetrieben, wenn der Kopf des Böögg explodiert. Man sagt, dass die Anzahl der Minuten, die es braucht bis der Kopf knallt, gleich der Anzahl der noch bevorstehenden winterlichen Tage ist. Das hat sich allerdings am darauffolgenden sommerlichen Tag nicht bestätigt.

Um 19 Uhr ging es dann in Formation zurück ins Zunfthaus, erneut zu einem festlichen Gelage. Anschließend die nächste Tradition, gegenseitiges Besuchen von drei anderen Zünften. Der eigenen Zunftmeister bleibt natürlich zurück, weil er die besuchenden Zünfte empfangen muss. Auch diese Gegenbesuche unterliegen einem Protokoll und einer amüsanten, spitzfindigen Tradition. Die besuchende Zunft wird vertreten durch einen Sprecher, der redegewandt die positiven und weniger positiven Eigenheiten der empfangenden Zunft beschreibt. Auf diese zum Teil recht kritikgeladenen Darbietungen hat der Meister der empfangenden Zunft schlagfertig zu antworten. Ein wahrlich amüsantes Spiel.

Nach dem Besuch der dritten Zunft gingen wir wieder zurück ins Zunfthaus, wo wir uns nach diesen Strapazen an Würschtli und Bier stärken konnten. Weit nach Mitternacht hab ich dann aufgegeben. Manche Zünftler waren dann noch bis in die Morgenstunden unterwegs. Wer mit den Schweizern Feste feiern will, braucht Standfestigkeit, Durchhaltevermögen und muss recht trinkfest sein.

Auch Aufstellungsarbeit ist ein Weg, den einen oder anderen Böögg zu verbrennen, dunkle Zeit hinter sich zu lassen, Platz für den Frühling, für neues Leben zu schaffen.